Gegen den Kanon – Österreichische Literatur der 1. Republik und des Ständestaates.
Warschau (3.-4.12.2015), Tagungsort: Österreichisches Kulturforum Warschau
Institutskooperation vom Lehrstuhl für Germanistik (UWM Olsztyn), Institut für Germanistik (UW) und Österreichischem Kulturforum Warschau
Eine komplexe Geschichte der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit fehlt bislang. Sie wird meistens in die Literaturgeschichte der Weimarer Republik integriert – eine Bewandtnis, auf die bereits die österreichischen Literaturwissenschaftler kritisch hingewiesen haben. Auf die Notwendigkeit, die österreichische Literatur von der deutschen oder Weimarer differenziert zu betrachten, machte bereits Wendelin Schmidt-Dengler aufmerksam,[1] und seine Nachfolger sind diesem Wunsch auf verschiedenen Wegen nachgegangen, um zu zeigen, dass „je besser die österreichische Literatur in ihrer Besonderheit erfasst wird, um so weniger […] sie sich von der deutschen trennen [lässt].“[2] Auf das Tableau österreichischer Literaturwissenschaftler kamen immerhin solche Themen, die von der „Höhenkammerliteratur“ (Amann, Lengauer, Wagner) – d.h. von den literarischen Berühmtheiten dieser Zeitperiode wie Hofmannsthal, Schnitzler, Musil, Broch, Kraus und Roth – abwichen und den Schattenseiten der österreichischen Geschichte sowie der bisher vernachlässigten bzw. wenig rezipierten Literatur Beachtung schenkten. Zu erwähnen sind hier u.a. die Forschungen zu der völkischen und nationalen Literatur der Zwischenkriegszeit (Sonnleitner und Sachslehner), zum Anschluss der österreichischen Literatur an das Dritte Reich und zur Geschichte des österreichischen PEN-Clubs in dieser Zeit (Amann), zur Literatur im Austromarxismus (Pfoser) bzw. Austrofaschismus (Aspetsberger), zur institutionellen Voraussetzungen der österreichischen Literatur der 1930er Jahre (hrsg. v. Amann und Berger), zur Provinzliteratur und den heimatverbundenen Autoren (Holzner, Wagner), zur ‚Inneren Emigration‘ in Österreich (hrsg. v. Holzner und Müller) und der österreichischen Literatur im Exil (hrsg. v. Holzer, Scheichl und Wiesmüller). Der erste Versuch, in einem Band die Beiträge zur Literatur und Kultur der Zwischenkriegszeit in Österreich zu sammeln, scheint das 1981 erschienene Buch von Franz Kadrnoska zu sein.[3] Weitere breitangelegte Studien ließen ca. zwanzig Jahre auf sich warten: Von großer Bedeutung sind hier die in einem Band zusammengestellten und 2002 veröffentlichten Beiträge Schmidt-Denglers zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit sowie das von Primus Heinz-Kucher koordinierte FWF-Projekt zur Literatur und Kultur dieser Zeitperiode, im Rahmen dessen bereits zwei Sammelbände (österreichische Literatur der 1920er Jahre sowie die Kultur und Radiopolitik von 1924 bis 1934) herausgegeben wurden.
Die Tagung möchte an das 2012 erschienene Buch von Evelyn Polt-Heinzl anknüpfen, in dem sich die Autorin als erste zum Ziel setzte, ein – wie der Untertitel sagt – „Plädoyer für eine Kanonrevision“ der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit vorzulegen. Dabei schreibt die Autorin eine umfassende und detaillierte Literaturgeschichte des betreffenden Zeitraums und legt nahe, dass der so eng gefasste Kanon stereotype Urteile befördere und einseitige Vorstellungen von der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit zur Folge habe. Anknüpfend an Polt-Heinzl‘ stellen sich die Konferenzorganisatoren die Aufgabe, die Forscher zusammenzuführen, die in den Einzelstudien ihre Forschungsergebnisse präsentieren, die über den etablierten Kanon der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit hinausreichen. Dabei geht es nicht darum, die Bedeutung der großen Persönlichkeiten der österreichischen literarischen Szene dieser Zeit herabzusetzen (ihre Relevanz steht unanfechtbar ohne Zweifel), sondern vielmehr auf die ästhetischen und formalen Besonderheiten der anderen Autoren und literarischen Diskurse aufmerksam zu machen und einen Anlass zu geben, sich jenseits der arrivierten Literatur umzusehen.
Tagungsort: Austriackie Forum Kultury Warszawa, ul. Próżna 7/9
Tagungsprogramm
Donnerstag, 3. Dezember 2015
9.00 – 9.15: Begrüßung
9.15 – 9.40: Prof. Dr. Karol Sauerland (Universität Warszawa): Austomarxismus einerseits, Austrofaschismus andererseits
9.40 – 10.05: Dr. Elisabeth Vyslonzil (Österreichische Akademie der Wissenschaften): Zur Geschichte der Ersten Republik
10.05 – 10.20: Diskussion
10.20 – 11.25: Plenarsitzung
10.20 – 10.45: Prof. Dr. Stefan H. Kaszyński (Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu): Canetti lesen. Zwischen Blendung und Auto da fe
10.45 – 11.10: Prof. Dr. Primus-Heinz Kucher (Universität Klagenfurt): ...akustisches Drama, Jazzromane, Kinostil, Technorevue, kinetische Schriftbilder...: Intermedialität und Interdisziplinarität als Komponenten eines Epochenprofils der österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit
11.10 – 11.25: Diskussion
11.25 – 11.45 Kaffeepause
11.45 – 12.50: Plenarsitzung
11.45 – 12.10: Prof. Dr. Murray G. Hall (Universität Wien): „Eine Pilzatmosphäre“. Zur Geschichte des Verlagswesens in der Zwischenkriegszeit in Österreich
12.10 – 12.35: Dr. Irene Nawrocka (Österreichische Akademie der Wissenschaften): Österreichische AutorInnen im Bermann-Fischer Verlag in Wien 1936-1938
12.35 – 12.50: Diskussion
12.50 – 13.50 Mittagspause
13.50 – 14.55: Plenarsitzung:
13.50 – 14.15: Dr. Evelyne Polt-Heinzl (Literaturhaus Wien): Über Hasen, Huren und Mütter. Überlegungen zum Großstadtroman der Zwischenkriegszeit
14.15 – 14.40: Prof. Dr. Johann Sonnleitner (Universität Wien): Weibliche Avantgarde in Wien nach 1918. Maria Lazar und ihr Umfeld
14.40 – 14.55: Diskussion
14.55 – 15.15: Dr. Rebecca Unterberger (Universität Klagenfurt): „Hochbetrieb im Redaktionssekretariat: Die Mordpost läuft ein!“ Zu Walter Süß‘ (Wiener) Kriminalromanen, nebst Seitenblicken auf das Wiener Rundfunkgerichtsspiel, sensationalistische Gerichtssaalreportagen und programmatische Stellungnahmen zum Krimi bzw. der Kriminalistik (der Zeit) im Feuilleton der 1920er und 1930er Jahre
15.15 – 15.35: Dr. Aneta Jachimowicz (Warmia und Mazury Universität Olsztyn): Die Wiedergeburt des Melchior Dronte von Paul Busson als Zeitroman
15.35 – 15.50: Diskussion
15.50 – 16.15 Kaffeepause
16.15 –18.05: Fortsetzung in Sektionen
Sektion A:
16.15 – 16.35: Mag. Konstanze Fladischer (Universität Wien): Wien in der Zwischenkriegszeit. Das Bild einer Stadt und ihrer BewohnerInnen in ausgewählten Zeitromanen
16.35 – 16.55: Dr. Justyna Górny (Universität Warschau): Ist das Weib ein Nichts? – Vorbilder und Schreckbilder in den österreichischen Frauenromanen der Zwischenkriegszeit
16.55 – 17.10: Diskussion
17.10 – 17.30: Mag. Verena Humer (Universität Wien): Das vergessene Werk der Grete von Urbanitzky. Eine (Ausnahme-)Frau zwischen Anpassung und Subversion
17.30 – 17.50: Mag. Tadeusz Skwara (Universität Warschau): Lion Feuchtwanger über Enrica von Handel-Mazetti – ein Blick von außen auf die österreichische Literatur der Zwischenkriegszeit
17.50 – 18.05: Diskussion
Sektion B:
16.15 – 16.35: Dr. Dagmar Heißler (Universität Wien): „Umsonst gelebt, umsonst gedichtet, umsonst gestorben“? Der Dramatiker Hans Chlumberg
16.35 – 16.55: Mag. David Österle (Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie): „Geist – Welt – Größe“. Hofmannsthal und der literarische Kanon
16.55 – 17.10: Diskussion
17.10 – 17.30: Mag. Simone Ketterl (Universität Leipzig): „[A]ufrührerisch, nicht frömmlerisch“: Liberalistische Tendenzen in Johannes Freumbichlers Bauernroman Philomena Ellenhub
17.30 – 17.50: Mag. Christian Wimplinger (Universität Wien / Wroclaw): Außer dem Kanon. Herbert Hinterleithner
17.50 – 18.05: Diskussion
Freitag, 4. Dezember 2015
9.00 – 11.30: Plenarsitzung
9.00 – 9.25: Prof. Dr. Sigurd Paul Scheichl (Universität Innsbruck): Reformation und Gegenreformation im historischen Roman der Ersten Republik
9.25 – 9.50: Prof. Dr. Vahidin Preljevic (Universität in Sarajevo): Kriegsausbruchs und Katastrophe in der Trilogie Die Throne stürzen von Bruno Brehm
9.50 – 10.05: Diskussion
10.05 – 10.30: Prof. Dr. Johann Holzner (Universität Innsbruck): Der Fall Karl Schönherr
10.30 – 10.55: Dr. Markus Eberharter (Universität Warschau): Auf der Bühne und in der Schule. Die polnische Rezeption von Karl Schönherr in der Zwischenkriegszeit
10.55 – 11.10: Diskussion
11.10 – 11.30: Kaffeepause
11.30 – 13.05: Plenarsitzung
11.30 – 11.55: Prof. Dr. Wynfrid Kriegleder (Universität Wien) : Kriegsromane der Zwischenkriegszeit - Rudolf Geists Der anonyme Krieg (1928)
11.55 – 12.20: Dr. Alfred Pfoser (Wienbibliothek): Der Krieg, der nicht vergeht
12.20 – 12.45: Dr. Jörgen Füllgrabe (Frankfurt a.M.): Divergierende Erfahrung der verstörenden Wirklichkeit. Österreichische ‚Kriegsromane‘ und ihre Präsenz im deutschsprachigen Kontext
12.45 – 13.05: Diskussion
13.05 – 13.30: Kaffeepause
13.30 – 15.30: Plenarsitzung
13.30 – 13.55: Prof. Dr. Barbara Surowska (Universität Warschau): Joseph Roth und Józef Wittlin – eine vergessene Freundschaft
13.55 – 14.20: Prof. Dr. Joanna Jabłkowska (Uniwersytet Łódzki): Jura Soyfer
14.20 – 14.35: Diskussion
14.35 – 15.00: Prof. Dr. Wojciech Kunicki (Universität Wrocław): Gustav Leutelts Isergebirgsromane Hüttenheimat (1919) und Der Glaswald (1925) im Spannungsfeld zwischen Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei
15.00 – 15.25: Prof. Dr. Wolfgang Neuber (Freie Universität Berlin): Thema in Vorbereitung
Schlusswort
Konferenzorganisatoren
Kooperation vom Österreichischen Kulturforum Warschau, der Universität Warschau und der Warmia und Mazury-Universität in Olsztyn
Prof. Grażyna Kwiecińska (Universität Warschau)
Dr. Aneta Jachimowicz (Warmia und Mazury Universität in Olsztyn)
[1] Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Prolegomena zu einer Sozialgeschichte der österreichischen Literatur der Zweit zwischen 1918 und 1938. In: Klaus Amann / Hubert Lengauer / Karl Wagner (Hrsg.): Ohne Nostalgie. Zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen. Bd. 7). Wien / Köln / Weimar 2002, S. 9-23.
[2] Ebd., S. 23.
[3] Vgl. Franz Kadrnoska: Aufbruch und Untergang – Österreichische Kultur zwischen 1918-1938. Wien 1981.